Leseprobe aus  "Pickert, Pölter und Pistolen"

Auszug aus "Der Coup" von Heike Rommel:

 

Der Coup
 

Seit Monaten stapelte sich im Wirtschaftsraum eines Einfamilienhauses in Bielefeld-Schildesche die Bügelwäsche neben dem Laptop, vor dem die 54-jährige Rita Horstkötter, Sachbearbeiterin bei einer Betriebskrankenkasse, neuerdings den größten Teil ihrer Freizeit verbrachte. Rita ließ die Rollläden herunter, um sich in etwas weitaus Interessanteres als Bügeln zu vertiefen. Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Sie klappte rasch den Laptop zu. »Mein Gott, Herbert, was schleichst du denn so?«
»Erdbeertorte für dich, Hase.« Er stellte einen Teller neben die Bügelstation. »Ich dachte, du bügelst, ich habe kein einziges Hemd mehr im Schrank.«
Die Torte war ein Vorwand, dessen war sie sicher. »Störe ich dich etwa in deinem Hobbykeller? Dieser Raum ist mein Reich, Herbert! Und außerdem esse ich keinen Kuchen mehr, wie du sehr wohl weißt.«
»Du hast jetzt … wie viel Kilo abgenommen? Dazu neue Klamotten, neue Frisur, wie teuer das ist! Und wieso klappst du den Laptop zu, wenn ich hereinkomme?«
Rita betrachtete ihren Mann, als wäre sie nicht 30 Jahre lang mit ihm verheiratet, sondern sähe ihn zum ersten Mal. Der dünne Haarkranz, der Schmerbauch, die ausgebeulte Hose … auch als Frührentner musste man sich nicht so gehen lassen. Sie ertrug ihn einfach nicht mehr. Dass er mit Eifersucht reagierte, wenn sie sich mit ihrem Nachbarn Dominik Domeyer über den Zaun unterhielt, konnte sie ja noch verstehen, denn der Kommissar war ein attraktiver Mann. Dass Herbert aber selbst auf ihre Strickrunde mit Freundinnen und auf ihren Yoga-Kurs eifersüchtig war, schlug dem Fass den Boden aus!
Das kann doch nicht alles gewesen sein … wann war diese Frage zum ersten Mal aufgetaucht, um sie nicht mehr loszulassen? Herbert war für sie allmählich wie ein Teil der Einrichtung geworden – ein nerviges Teil allerdings, wie eine Tür, die beim Öffnen mit einem hässlichen Quietschen über den Boden schleift. Noch viel schlimmer war: Vor Wochen hatte sie beim Aufräumen eine uralte Rechnung entdeckt, aus der hervorging, dass er schon zu Beginn ihrer Ehe heimlich eine Vasektomie hatte machen lassen! All die jahrelangen, vergeblichen Versuche, schwanger zu werden! Hase, wir haben es doch gut zu zweit, oder etwa nicht? war alles, was ihm dazu einfiel. Das verzieh sie ihm nicht!
»Da verschlägt’s dir die Sprache, was?«, machte Herbert weiter. »Sag mir ganz offen: Gibt es einen anderen Mann in deinem Leben oder warum hängst du die ganze Zeit vorm PC?«
Rita überlegte. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? »Herbert, es ist anders, als du denkst … ähm, was hast du da eigentlich für ein Papier in der Hand?«
»Jetzt lenk nicht ab«, gab Herbert zurück, aber dann reichte er ihr den Bogen.
»Die Überweisung an die Stadtwerke ist zurückgekommen?«
»Ganz recht, der Dispo ist ausgereizt, Hase. Du musst noch heute etwas von deinem Sparkonto aufs Girokonto überweisen, sonst stehen wir demnächst ohne Strom da.«
»Schatz, ich muss dir etwas sagen … es tut mir sehr leid, aber …«, sie holte tief Luft, »mein Erbe ist weg. Ich habe gespielt … im Internet, Glücksspiel, weißt du. Ich komme einfach nicht davon los, ich brauche therapeutische …«
»Das gesamte Geld? Unsere Altersvorsorge?« Herbert schnappte nach Luft.
Sie nickte. Eine Träne rollte ihre Wange hinunter.
»Das darf doch nicht … Rita, wie konntest du nur?«

 

* * *

 

Drei Wochen später, an einem sonnigen Samstagmorgen im Mai, stellte Kommissar Dominik Domeyer sein Rad ab, nahm seine Fahrradtaschen und betrat den Platz vor der Stiftskirche in Schildske, wie die Bielefelder ihren Stadtteil Schildesche nennen. Es war noch früh, später würden sich Schlangen vor den Marktständen bilden wie jeden Samstag.
Am Stehtisch vorm Biobäcker entdeckte er zu seiner Verwunderung seinen Cappuccino schlürfenden Nachbarn Herbert Horstkötter. Vor ihm stand ein Teller mit Apfelkuchen und zu seinen Füßen ein mit Tüten und Gemüse vollgepackter Korb.
»Morgen, Herbert. Machst du heute den Einkauf? Ist Rita krank?«
»Ach, Dominik, ich …« Horstkötter stellte seine Tasse ab. »Ähm … Rita hatte einen Unfall.«
»Ach du meine Güte! Wie geht es ihr denn?«
»Es … geht ihr gewissermaßen gar nicht gut, also genau genommen … sie ist mit ihrem Wagen in einer Kurve von der Straße abgekommen und eine Böschung hinuntergerollt bis vor, ja bis vor einen Baum. Da gibt es doch diese engen Kurven, Dornberger Straße, da, wo man Tempo 30 fahren muss …«
»Wann ist denn das passiert?«
»Erst vor zwei Tagen.« Er schob sich ein großes Stück Apfelkuchen in den Mund.
»Liegt sie im Krankenhaus?«
»Das nicht … sie ist in ihrem Fiat … also, das Auto hat Feuer gefangen und … sie hat es nicht mehr herausgeschafft.«
»Oh … ich … mein Beileid, Herbert, wie furchtbar!« Dominik starrte ihn an. Wenn er das richtig verstanden hatte, war Rita Horstkötter vor zwei Tagen in ihrem Wagen verbrannt … Und ihr Mann futterte Apfelkuchen?
Horstkötter kaute schmatzend. »Ich stehe noch immer neben mir, aber es muss ja weitergehen, stimmt’s?«
»Ja … natürlich. Falls du irgendetwas brauchst, Herbert, du weißt ja, wo du mich findest.«
Horstkötter bedankte sich und spießte ein weiteres Stück Kuchen auf.


* * *

 

Am nächsten Morgen erzählte Dominik seinem Kollegen und Mitbewohner Frank Herbst am Frühstückstisch von der Angelegenheit.
»Rita Horstkötter?« Frank verschluckte sich an seinem Brötchen. »Du meinst unsere Nachbarin, die neuerdings auf Berufsjugendliche macht?«
»Genau die. Ihr Mann scheint gar nicht so traurig zu sein.« »Berufsjugendliche« hätte Dominik sie nicht genannt, aber Rita Horstkötter hatte vor ihrem Tod nicht mehr viel von der biederen Sachbearbeiterin mit den vernünftigen Schuhen an sich gehabt.
»Die wollte sich von ihrem Alten absetzen, wetten? Der ist ja auch nicht gerade ein Adonis.«
»Weißt du, was mir eingefallen ist? Rita hat mir mal erzählt, dass sie eine Versicherung bei der Lebenswohl-Versicherung abgeschlossen habe, als ihr Mann in Frührente ging. Damit wollte sie ihn finanziell absichern. Im Fall ihres Todes sei er ein gemachter Mann.«
»Wow. Da ist was faul. Oberfaul!«
»Ich habe gestern noch den Unfallgutachter erreicht. Stell dir vor, es gibt keine Bremsspuren in der fraglichen Kurve, sie ist also ungebremst den Abhang runtergebrettert, aber das kann auch nicht sein.«
»Wie jetzt?«
»Wenn der Wagen Speed drauf gehabt hätte, müsste er größere Beschädigungen aufweisen, nachdem er vor den Baum geprallt ist.«
»Ist sie obduziert worden?«, fragte Frank.
»Nein, die gehen von einem Unfall aus. Ob ich es mal bei der Staatsanwältin versuche?«
»Vergiss es. Wenn die Horstkötter nicht wegen überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve getragen wurde, könnte sie ja auch einen Schlaganfall erlitten haben und ist deshalb die Böschung runtergeholpert.«


* * *

 

Doch schon am selben Abend wendete sich das Blatt...

 

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© Heike Rommel